The Children's Crusade

Während die Kinder in den Hof marschierten und sich ordnungsgemäß in zwei Reihen aufstellten, waren von drinnen bereits die schweren Schritte und das Klacken des Gehstocks zu hören.

Direktor Finnegan stieß die Tür zum Hof auf. Er verharrte eine Weile auf dem obersten Treppenabsatz und blickte auf die Jungen und Mädchen hinunter, die dort reglos mit gesenktem Blick standen oder sich hastig die Kleidung zurechtstrichen.

Langsam schritt er die breite Treppe hinunter. Finnegan hatte keine Eile, er genoß die wachsende Furcht, die sich bei den Kindern eingenistet hatte und sie umgab wie eine üble Aura. Er blähte die Nüstern, als könne er ihren Angstschweiß riechen.

Zuerst richtete sich sein Blick auf die Jüngsten, die der Treppe am nächsten standen. Auf Levi ruhten seine Augen ein wenig länger. "Deine Mütze sitzt schief, Sullivan." Er hob die Mütze hoch, verpasste Levi einen Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und setzte sie wieder auf.

An Elijah ging er vorbei, ohne etwas zu sagen, aber sein Blick brannte sich förmlich in die Gestalt des kleinen Jungen, als erwarte er möglichen Widerspruch.

"Deine Zöpfe sind nicht straff genug", wies er nun eins der Mädchen zurecht. "Sollte das noch einmal vorkommen, schneid' ich sie dir ab!"

Auch Alisa bedachte er mit einem strengen Blick. Mit einer Handbewegung scheuchte er die beiden danebenstehenden Mädchen auseinander und ging einmal komplett um sie herum, um sie von allen Seiten zu betrachten. Allerdings schien er nichts an ihr zu finden, das er kritisieren konnte, denn er begnügte sich damit, sie noch ein paar Augenblicke finster anzustarren, bevor er zu den Größeren weiterging.

"Ordnung, Disziplin und Gehorsam", knurrte er. "Ordnung, Disziplin und Gehorsam, das ist es, was ich in eure hohlen Köpfe einhämmern werde."

Seine Stimme hatte sich während dieser Worte gesteigert, aber da es im Hof so still war, dass man ein Blatt hätte fallen hören, musste er gar nicht besonders laut sprechen, um sich der Aufmerksamkeit aller gewiß zu sein.

Sie Schritten auf den Hof hinaus.
Die Luft war klar und ihr Atem stand ihnen in kleinen Wölkchen vor den Lippen. Wie gerne würde er einfach wie diese Wolken davonfliegen können. Leicht schüttelte er den Kopf, als wollte er seine Gedanken wie lästige Fliegen vertreiben. Jetzt war keine Zeit für Träume... nicht so kurz vorm Morgenapell. Denn spätestens dort platzten sie in tausend kleine Scherben.
Er stellte sich ordentlich in die Reihe, zupfte seinen Hut noch einmal zurecht.
Dann hörte er auch schon Finnegans schwere Schritte. Sein Herz pochte schon wieder fest gegen seine Brust. Wie er sich vor diesem Mann fürchtete. Augenblicklich fühlte er sich noch schlechter, als er es ohnehin schon getan hatte. Sofort senkte er seinen Blick, als Finnegan begann die Reihe abzuschreiten. Natürlich hatte er gleich bei Levi etwas auszusetzen. Er hoffte nur, dass Levi klug genug war es einfach geschehen zu lassen. Nach Gerechtigkeit durfte man hier nicht suchen... vielleicht stand Kindern auch einfach keine Gerechtigkeit zu. So genau wusste er das nicht.
Als er Finnegans Blick auf sich spürte, fühlte er sich als würde er einfach in sich zusammenschrumpfen. Elijah biss sich leicht auf die Lippen, wartete bis er sich dem nächsten Kind zu wandte. Erleichtert atmete er aus, presste sich allerdings gleich die Hand auf den Mund, als ein weiteres Husten ihn schüttelte.

Stumm hatte Alisa mit angesehen, wie Suzanna und Ava aneinander geraten waren. Es war schon erschreckend, wie böse die beiden gucken konnten, fand sie. Und sie ärgerte sich, dass sie nicht mutig genug gewesen war, um den Streit zu schlichten - es hätte aber sicherlich eh nur mehr Unmut gebracht und das brauchte wohl keiner von ihnen.

Eisig kalt war es draußen, als sie schließlich auf den Hof trat und ihren Platz einnahm. Sie sah sich nach Bash um, wusste aber, dass sie nicht neben ihm würde stehen dürfen. Es war doch jeden Morgen dasselbe Spiel - seit Jahren! Wurde es Finnegan nicht irgendwann langweilig?
Mit Herzklopfen beobachtete sie jeden seiner Schritte und sie wusste nicht, ob sie vor Kälte oder vor Angst zitterte, als der Direktor sie umrundete. Mit zusammengepressten Lippen starrte sie auf den Boden und wagte es kaum zu atmen. Erst, als Finnegan seinen Weg fortsetzte, hob sie den Kopf und fühlte sich ein wenig erleichtert.

Levi hatte gar nicht damit gerechnet, dass Finnegan ihm irgendwie Beachtung schenken würde und hatte draum einfach stur geradeaus gestarrt. Es war vor allem die Überraschung, die ihm angesichts des Schlags auf den Hinterkopf einen kurzen Schrei entlockte. Er stolperte einen halben Schritt vorwärts und hätte vielleicht rebellischer reagiert, hätte er nicht Elijahs ängstlichen Blick bemerkt, der ihn geradezu anzuflehen schien, nichts zu machen. Also biss Levi die Zähne zusammen und trat zurück in die Reihe, auch wenn er vor Ärger am ganzen Körper bebte.
Mit Ordnung und Disziplin hatte Finnegans Theater gar nichts zu tun, befand er, als er dem Direktor mit finsteren Blicken folgte, nur mit Angst. Levi würde sich weigern, da mitzumachen, das nahm er sich fest vor.

Finnegan schritt weiter, seinen Blick fest auf die Reihe der Jungen gerichtet. Hier und dort kritisierte er etwas, rückte Kleidung zurecht oder packte Köpfe, um den Kindern ins Gesicht zu starren. Endlich war er am Ende angelangt und starrte Bash an, der dort stand. "Du kommst heute nachmittag nach dem Unterricht in mein Büro, Marakov", befahl er in knappem Ton, ohne sich weiter zu erklären.

Dann fuhr er herum und wandte sich der Reihe der Mädchen zu. Er starrte sie mit solcher Verachtung an, als wären sie Insekten, die er am liebsten unter seinem Fuß zertreten hätte.

Er umrundete das Ende der Reihe und stand nun in Ava's Rücken. "Ford, du hast dich doch eben so angeregt mit Fairchild unterhalten. Worum ging es denn bei diesem Gespräch? Etwa darum, dass Fairchild ein schlampiges Mädchen ist, das seine Sachen nicht richtig in Ordnung halten kann?"

Er stieß mit dem Gehstock gegen Suzanna's Mantel, so dass der Riss darin sichtbar wurde. "Ich bin enttäuscht von dir, Fairchild, äußerst enttäuscht. Da glaubt man unter all diesen verzogenen Fratzen eins zu finden, was sich für all die Mühen dankbar zeigt, die wir täglich auf uns nehmen,  um euch zu besseren Menschen zu erziehen. Und dann so etwas!" Kopfschüttelnd betrachtete er den Riß.

Als Finnegan Alisa so nachdrücklich unter die Lupe genommen hatte, hatte Bash schon einen zynischen Kommentar auf den Lippen gehabt, hatte ihn aber zum Wohle seiner Schwester hinunter geschluckt.
Dann trat Finnegan vor ihn und entgegen aller Vorsicht, zuckte eine rebellisches Funkeln durch seinen Blick. Ob er ihn wohl deswegen in sein Büro zitierte? Auch wenn es ihm schwer fiel, so verkniff er sich doch auch hier jeglichen Kommentar. Bei Finnegan wusste man nie...

Suzanna beobachtete Finnegan, als er die anderen Kinder umrundete und immer wieder gehässige Kommentare machte. Wie sehr sie diesen Mann verabscheute.
Sie verfluchte ihr eigenes Herz dafür, dass es laut gegen ihre Brust hämmerte, als er näher kam. So weit kam es noch, dass jemand wie er es schaffte sie einzuschüchtern. Sie hielt sich aufrecht, den Blick nicht gesenkt wie die meisten anderen. Sie biss die Zähne zusammen, als er sich hinter Ava stellte und zu ihr sprach.
Kalte Wut wallte in ihr auf. Dankbar sollte sie sich zeigen, ja? Für was? Dafür hier eingesperrt zu sein? Für jede Kleinigkeit eine Tracht Prügel zu kassieren? Schlechter behandelt zu werden, als der Dreck unter ihren Schuhen?
Sie hielt den Blick sturr geradeaus und schwieg. Noch. Kontrolle war alles.

An ihrer Haltung änderte sich nichts. Sie stand aufrecht, den Blick geradeaus gerichtet, aber keinesfalls herausfordernd. Sie hatte heute rein gar nichts zu befürchten. Sie nicht. Für einen winzigen Moment dachte Ava tatsächlich darüber nach, Finnegan zu antworten und somit Suzannas Strafe zu besiegeln. Es war ein genauso kurzer Gedanke wie der an der Treppe, als sie die Andere hatte hinunter stoßen wollen.
Doch sie schwieg und beließ Finnegans Frage unbeantwortet. Als hätte es diesen Mann wirklich interessiert worüber sie sich mit Suzanna stritt. Zumal nur die Blonde ausfallend geworden war, weil sie nicht begreifen konnte, dass nicht jedes Wort gleich ein Angriff war. Aber gut. Einen schwachen Geist würde die natürliche Selektion tilgen. Wenn die Zeit reif war.

Finnegan schien zu überlegen, ob er auf eine Antwort seiner Frage beharren sollte, aber letztendlich spielten die Kabbeleien dieser Gören keine Rolle für ihn. Mädchen kabbelten sich ständig wegen irgendwas. Das lag daran, dass Frauen von Natur aus niedere, streitsüchtige Wesen waren, zu vernünftigen Gedanken überhaupt nicht fähig.

Er wandte sich Suzanna zu. "Schlampige Kleidung wird hier nicht geduldet, Fairchild. Du wirst jetzt auf der Stelle in die Eingangshalle zurückkehren und den Rohrstock holen, der dort neben der Garderobe an der Wand lehnt."

Er zog seine goldene Uhr aus der Westentasche. "Ich gebe dir dazu exakt zehn Sekunden Zeit. Für jede Sekunde, die du länger brauchst, wirst du einen Schlag mit dem Rohrstock erhalten. Das wird dich lehren, in Zukunft nicht mehr so nachlässig mit deiner Kleidung zu sein. Wir bezahlen viel Geld für eure Ausstattung und ihr habt nichts Besseres zu tun, als sie ständig zu ruinieren!"

Suzanna ging blitzschnell ihre Möglichkeiten durch. In jedem anderen Fall hätte sie schulterzuckend den Weg angetreten, in ihrem eigenen Tempo, um zu zeigen, dass die Strafe sie nicht störte. Was machten schon ein paar mehr oder weniger Schläge?
Er wollte sie erniedrigen und wenn sie jetzt gehen würde, hätte er sein Ziel erreicht. Sie konnte kaum laufen, die Stufen würde sie niemals schaffen, ohne dass jeder mitbekäme wie schwer es ihr fiel. Sie würde mehr als armselig wirken, wenn sie in ihrem Zustand den verdammten Stock für ihre eigene Bestrafung holen ginge.
Ihre Alternative war eine Gradwanderung, aber sie blieb stehen und sprach mit fester Stimme zu Finnegan. "Ich bin gestern die Treppe hinunter getstürzt. Dabei ist der Riss im Mantel entstanden und ich habe mich am Fuß verletzt. Ich kann nicht laufen, Sir. Ich war nur noch nicht bei Miss Curtington, weil ich den Appell nicht verpassen wollte. Um mein Kleid werde ich mich aber selbstverständllich direkt nach dem Unterricht kümmern."

Um einem Typen wie Finnegan so ruhig Kontra zu geben, musste man schon Mumm haben, fand Levi, während er dem Schauspiel wie alle anderen Kinder - manche mehr, manche weniger auffällig - mit Augen folgte. Es sah nicht so aus, als wollte irgendjemand eingreifen und Levi hätte auch nicht gewusst, wie man Suzanna hätte helfen können. Nicht, dass er das getan hätte. Suzanna war gestern echt fies zu ihm gewesen, und auch wenn er niemandem eine Strafe mit dem Rohrstock wünschte, Suzanna hätte wahrscheinlich nicht mal gewollt, dass ihr jemand half.
Unabhängig davon hoffte Levi, dass sie mit ihrer Ausrede davon kam, und wenn es nur war, damit sie alle endlich aus der Kälte raus und ins etwas wärmere Haus zurück konnten.

Finnegan schnaubte verächtlich, als er Suzanna's Worte vernahm. "Soso, eine Verletzung also? Ausgerechnet dann, wenn du etwas zu erledigen hast. Wie überaus praktisch für dich."

Normalerweise hätte er bei einer solchen Ausrede kein Wort geglaubt, aber Fairchild war eigentlich keine Schülerin, die ihm widersprach und Trotz zeigte. Außerdem merkte er es fast immer, wenn man ihn belog und Suzanna's Worte, obwohl unverschämt, klangen nicht nach einer Lüge. Vielleicht war wirklich etwas dran an der Sache?

Einen Moment lang war er versucht, sie trotzdem loszuschicken, entschied sich jedoch anders. "Ford! Du wirst den Rohrstock holen. Und du, Fairchild, ziehst den Schuh aus und zeigst mir deinen Fuß. Und wehe dir, solltest du gelogen haben."

Dieses Mal reagierte sie sofort, als der Direktor sie ansprach.
"Jawohl, Sir", antwortete sie, knickste und beeilte sich dann, den Weg zu gehen, den eigentlich Suzanna hätte gehen sollen. Ava wusste nicht, ob das Zeitlimit auch für sie galt, aber sie wollte die Geduld des Direktors nicht unnötig reizen, weshalb sie ein etwas schnelleres Tempo anschlug, ohne jedoch zu rennen - denn das schickte sich nicht für ein Mädchen.
In der Eingangshalle angekommen sah sie sich nur kurz um, ehe sie zur Garderobe trat und den Rohrstock an sich nahm. Wie jedes Mal, wenn sie ihn sah, war sie doch verhältnismäßig froh darüber, in der langen Zeit hier nicht allzu oft Bekanntschaft mit ihm gemacht zu haben.
Den Weg zurück legte beschritt sie ebenso mit ausholenden, energischen Schritten, ehe sie vor dem Direktor stehen blieb, um ihm sein Werkzeug zu geben.

Es war zwar noch zu früh, um aufzuatmen, aber Suzanna verspürte eine gewisse Erleichterung, dass sie nicht selbst den Weg gehen musste. Auch wenn Ava nun diese Aufgabe zugewiesen bekommen hatte. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gesagt Finnegan machte das mit Absicht. Wie ein Bluthund konnte er riechen, wo man gerade am verwundbarsten war.
Und auch wenn es einiges einfacher gemacht hätte, so konnte sie Ford keinen Vorwurf dafür machen. Niemand widersetzte sich einer direkten Anweisung von Finnegan, nicht ohne gute Gründe. Oder ohne Konsequenzen. Und die andere hatte den Mund gehalten, was ihren Streit anging. Außerdem zeigte sie gerade keinerlei Anzeichen dafür, sie weiter provozieren zu wollen.

Suzanna war immernoch nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war Finnegan auf ihre eigene Schwäche hinzuweisen, besonders wo er sie als so 'überaus praktisch' ansah. Alles in ihr sträubte sich dagegen an diesem Ort und vor diesem Mann auf die Knie zu gehen, um ihren Schuh auszuziehen und sie war sich der Blicke der anderen Kinder deutlich bewusst. Mit einem nahezu gleichgültigen Schulterzucken und einem möglichst respektvollen "Natürlich, Sir." tat sie es dann doch, öffnete ihren Schuh und zog ihn aus. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie konnte nicht ganz verhindern, dass sich der Schmerz in ihrem Gesicht widerspiegelte, denn es war unmöglich ihr Gewicht nur auf das linke Bein zu verlagern. Allerdings war es fast schon ein Segen ihren Fuß von dem drückenden Schuh zu befreien. Und so kam Finnegan immerhin nicht auf die Idee sie würde simulieren, nur weil sie ihr Gesicht zu gut unter Kontrolle hatte.
Fein säuberlich stellte sie ihren Schuh neben sich und drückte sich wieder hoch. Dabei biss sie die Zähne zusammen und hielt die Luft an, damit kein Schmerzenslaut über ihre Lippen kam. Wieder stehend versuchte sie sowohl ihren Atem, als auch ihren Kreislauf zu beruhigen. Sie betete, dass Finnegan der Anblick ihres bestrumpften Fußes ausreichte und er nicht noch weitere Beweise einforderte.

Finnegan starrte in Suzanna's Gesicht, ganz so, als suche er darin nach den Anzeichen einer Lüge oder Ausrede. Doch die Schwellung am Fuß war selbst durch die Strumpfhose deutlich zu erkennen. Und mit einem verkrüppelten Fuß wäre die Göre noch wertloser als sie es sowieso schon war.

"Fünf Schläge für deine Unverfrorenheit", knurrte er. "Und danach begibst du dich unverzüglich auf die Krankenstation. Bück dich, Fairchild. Du wirst jeden einzelnen Schlag mitzählen. Und wenn du zuckst, werden es mehr!"

5 Schläge. Das war ja fast ein Geschenk. Für den Riss im Kleid und ihre offene Widerrede hätte sie auch locker das Vierfache bekommen können. Dennoch...die Strafe vor allen anderen zu bekommen...sich zu bücken und sich damit unterzuordnen...sich auf diese Weise erniedrigen zu lassen...
Niemals hätte sie so etwas außerhalb dieser Mauern zugelassen. Aber sie musste der Realität ins Auge sehen. Es gab nichts was sie tun konnte und sie hasste es. Es gab keine Möglichkeit einer Strafe an diesem Ort und vor allen anderen zu entgehen. Außerdem würde sie nicht viel Liebe von den anderen Kindern ernten, wenn sie das ganze viel länger hinauszögerte. Sie sah aus dem Augenwinkel wie einzelne den Mantel enger zogen oder fröstelnd auf der Stelle traten.
"Natürlich, Sir." Auch als sie sich bückte, senkte sie ihren Blick nicht. Was waren schon 5 Schläge?

Finnegan ließ sich Zeit. Er schritt langsam um sie herum, als wolle er austesten aus welchem Winkel er sie am besten treffen könne. Es schien ihm auch nicht zu gefallen, dass Suzie den Blick nicht senkte.

Da war Trotz in ihren Augen, immer noch Trotz. Obwohl sie nach außen hin zu den Folgsamsten gehörte, war es ihm noch nicht gelungen, sie vollständig zu brechen.

Ohne jede Warnung sauste der Stock auf ihren Rücken hernieder...

Als Finngan sie umkreiste dämmerte ihr, dass er es ihr nicht leicht machen würde. Dass sie keine einfachen 5 Schläge zu erwarten hatte.
Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Rücken. Nur mit großer Mühe zuckte sie nicht zusammen. "Eins."
Als der Direktor weiter um sie herum lief, sah sie all seine Abscheu und seine Berechnung. Sie würde nicht aufgeben.
Scharf sog sie die Luft ein, als der Stock wieder auf ihren Rücken herabfuhr. Dieser Schlag war deutlich härter gewesen, als der letzte. "Zwei."
Sie merkte wie ihr Körper sich gegen die Position wehrte, in der sie sich befand. Noch schaffte sie es ihren rechten Fuß nicht zu belasten, aber die Anstrengung war enorm. Alles wäre einfacher, wenn die Schläge einfach rasch nacheinander kommen würden, aber diesen Wunsch erfüllte Finnegan ihr nicht. Natürlich nicht.
Ein leichtes Keuchen entfuhr ihr beim dritten Schlag, der sie schmerzhaft in die linke Seite traf. "Drei," presste sie zwischen schweren Atemzügen hervor. Wie konnte sie so dumm gewesen sein ihn zu unterschätzen? In welchem Traum hatte sie sich befunden, als sie davon ausgegangen war, dass Finnegan sie mit einer milden Strafe davonkommen ließ?
Der vierte Schlag traf mit solcher Wucht ihren unteren Rücken, dass sie die Balance verlor. Sie versuchte sich mit dem rechten Fuß abzustützen, der aber unter Schmerzen einknickte. Mit einem Aufschrei fiel sie.

"Ich sagte dir, wenn du zuckst, werden es mehr." Kalt lächelnd sah Finnegan auf sie herab.

Die Genugtuung in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Aufstehen, Fairchild. Unverzüglich."

Für einen kurzen Moment war alles was sie wahrnehmen konnte der allumfassende Schmerz. Dann Finnegans Stimme. Sie konnte nicht klar denken, aber etwas in ihr hinderte sie daran einfach aufzugeben. Die Hände zuhilfe nehmend drückte sie sich hoch und den Göttern sei dank hielt ihr Fuß der Belastung stand. Ihre Sicht verschwamm kurz und die Welt um sie herum drehte sich, aber sie stand.

Erst hatte Levi wie fast alle anderen das Schauspiel verfolgt, doch als Suzanna sich bückte, um Finnegans Strafe zu empfangen, hatte er den Blick abgewandt und von da an stur nach vorne gestarrt. Es war zwar unmöglich zu überhören, was genau sich abspielte, aber ansehen musste er sich das nicht. Sicher war das auch Finnegans Absicht, sonst würde er die Strafe nicht vor allen anderen Kindern austeilen. Levi mochte Suzanna nicht sonderlich mögen, aber er würde Finnegan trotzdem nicht den Gefallen tun, Teil seiner Strafe zu sein. Der Ärger über ihre kollektive Machtlosigkeit war ihm ins Gesicht geschrieben und ließ ihn beinahe vergessen, wie kalt ihm war.

Ava war an ihren Platz zurückgetreten. Beinahe war es schade, dass sie Suzannas Strafe so nicht sehen konnte. Auch wenn es Unsinn war, dass es wegen ihres Streites und dem offensichtlichen Missverstehen der Blonden geschah, ein wenig Genugtuung verschaffte es ihr doch, als sie den ersten Schlag hörte. Man konnte es ihr nicht ansehen, glücklicherweise. Und eigentlich sollte sie nicht so denken. Aber die Drohung war nicht vergessen. Sie musste vorsichtig sein. Nicht wegen der Lehrer. Nein, die Gefahr kam von Suzanna. Und die konnte jederzeit zuschlagen. Oder zuschlagen lassen.

Moore stand neben den Stufen, unweit der Kleinsten und hatte die Szenerie mehr als gut im Blick. Sein Gesicht war kalt und unbeweglich, während seine Augen auf Suzanna lagen.
Seine Hand in den schwarzen Lederhandschuhen ballte sich zur Faust, als sie fiel.
Es war unmöglich, zu erraten, was er dachte. Sein glattes Gesicht starrte einfach nur auf die Szene, die Finnegan ihnen bot.

Dass unweit von ihm eines der Kleinen zu schluchzen begann, riss ihn wieder aus der Starre.
"Hör auf", zischte er ihm zu, worauf der Junge schniefend die Nase hoch zog und Anstalten machte, sie sich an seinem Ärmel abzuputzen. Moore schüttelte den Kopf und der Kleine besann sich auf sein Taschentuch, das zwar dünn wie Pergament war, aber blütenweiß.
Moore verschränkte die Hände wieder auf dem Rücken und straffte sich.

Elijah hatte seinen Blick gesenkt, als Finnegan mit dem Rohrstock zu Suzanna getreten war.
Er hörte die Schläge, konnte sich denken, was sich dort abspielte.
Doch wollte er es nicht sehen, wollte an etwas anderes denken, versuchte es mit großer Anstrengung. Aber weder das Knallen des Rohrstocks, noch die Kälte konnte er ausblenden. Ob des frischen Windes trat er vorsichtig von einem Fuß auf den anderen, zog seinen Mantel etwas enger. Vielleicht könnte er Suzanna irgendetwas zukommen lassen, das ihr half? Aber er war sich nicht sicher, ob er sich noch einmal traute in die Küche zu schlüpfen, um etwas von den Sachen zu stehlen. Gestern war es ziemlich knapp gewesen...
Kurz glitt sein Blick hinüber zu Levi, der ebenfalls den Blick abgewandt hatte. Und irgendwie war Elijah erleichtert, dass der Junge nichts unternommen hatte, obwohl man ihm den Ärger ansehen konnte.
Die Lippen zusammen gepresst, schaute er erneut zu Boden, unterdrückte dieses nervige Husten, das in seinem Hals kratzte.

Finnegan starrte Suzanna an. Einen Moment lang rutschte die Maske der kühlen Gleichgültigkeit von seinem Gesicht und machte der Wut darunter Platz. Die innere Stärke dieses Mädchens war schlimmer als jeder Trotz oder Ungehorsam. Es war eine Herausforderung ganz anderer Art.

Eine Herausforderung, die er nicht dulden konnte.

"Die letzten beiden zählen nicht," presste er zwischen seinen schmalen Lippen hervor. "Du hast gezuckt, deshalb werden wir sie wiederholen. Bück dich!"