The Children's Crusade

Ein leises Quietschen verriet ihr, dass der Junge nicht einfach nur wartete. Aber: wer hätte es schon getan, wenn er die Möglichkeit hatte, an zum Teil nicht gerade günstige Medikamente zu gelangen? Sie hatte ein paar Mittelchen hier, die nicht von Finnegan, sondern ihrem inzwischen toten Gönner, finanziert worden waren. Und die waren auch nur für den absoluten Notfall gedacht.
"Du bist also ein kleiner Dieb, Lyall..."
Sie lächelte den Jungen an. In ihrem Gesicht konnte er keinerlei Veränderung zu vorher erkennen.
"Zeig mir, was du genommen hast."

Als er die Worte der Schwester vernahm, schlug ihm das Herz bis zum Hals.
Dann schien es ihm als würde es einfach vor Schreck stehen bleiben. Würde er dann einfach tot umfallen. Vor Schreck tot umgefallen?
Langsam drehte er sich zu der Blonden um, wagte es nicht seinen Blick zu heben.
Mit ihren Worten hatte sie nicht einmal wirklich Unrecht. Bisher war er nur niemals erwischt worden. Hatte er sich dieses Mal zu viel herausgenommen? Dabei hatte er es doch nicht böse gemeint.
Mit gesenktem Blick blieb er vor ihr stehen.
Wie viel hatte sie gesehen? Er war sich so sicher gewesen, dass er leise gewesen war und aufmerksam.
"N-nichts..."

"Zeig mir einfach, was du genommen hast."
Sie lächelte noch immer, doch dieses Mal schwang eine leichte Drohung in ihrer Stimme mit. Sie war diejenige, der Finnegan eher glauben würde. Und sei es nur, um dadurch einen Grund mehr zu haben, ein Kind zu bestrafen.
"Lyall, ich bin nicht taub. Ich habe gehört, dass du die Schubladen fast alle sofort wieder zu gemacht hast. Außer eine. Zeig es mir und vielleicht verrate ich dem Direktor dann nicht, dass du meine Schränke durchsucht hast."

"Nein, Finnegan hat nichts mehr gesagt." Stephen schüttelte den Kopf. "Ich glaub', es ist ihm eigentlich egal, wer noch mitkommt und es war Zufall, dass er gerade mich und den Neuen gewählt hat."

Nervös blickte er Bash an." Bitte, Marakov, was will er von uns? Es ist doch hoffentlich nicht irgendwas Schlimmes?"

Unsicher blieb Elijah noch einen Moment lang stehen.
Es fühlte sich an als hätte er einen dicken Eisbrocken verschluckt, der nun in seinem Magen lag und sich dort anscheinend heimisch einnisten wollte.
Dann schob er die Hand langsam in seine Tasche und zog die zwei kleinen Pillen hervor, die er nun auf ausgestreckter Handfläche zu seinem Gegenüber hielt.
Jetzt würde sie alles dem Direktor erzählen. Wahrscheinlich würde er jetzt dafür, dass er geklaut hatte in den Karzer ziehen müssen. Und wenn er dort unten erfor würde er direkt in der Hölle landen. Sie sagten doch immer, dass Sünder in die Hölle kamen. Und das war, wenn man gegen die Gebote Gottes verstieß. Aber er wollte es ja nicht für sich haben, vielleicht war es dann nicht ganz so schlimm. Zumindest nicht für Gott. Aber ob die Lehrer hier auch so viel Nachsichtigkeit hatten wie der liebe Gott?

"Es ist nicht ungewöhlich, dass hier jemand versucht, etwas zu stehlen. Ich habe selbst in meiner Zeit hier die Krankenschwester ein paar Mal austricksen können... Aber ich habe selten jemanden gesehen, der sich so gut dabei anstellt, wie du."
Sie trat um den Jungen herum und musterte ihn eingehend, noch immer mit einem Lächeln im Gesicht, wenngleich weniger freundlich als zuvor.
"Du bist ein kluger Junge, Lyall. Du bist geschickt und du bist unscheinbar..."
Wusste er eigentlich, dass er damit die besten Voraussetzungen hatte, ein Trickbetrüger zu werden, wenn er das wollte?

Etwas verwirrt blinzelte er und hob nun leicht den Blick.
Er hatte mit vielen Reaktionen gerechnet, mit wütenden Schreien, Schelte und Ärger... aber nicht mit den Worten, die die Frau nun sprach.
"I-ich glaub, ich verstehe nicht...", brachte Elijah nervös und irritert hervor. Noch immer lagen die kleinen Pillen in seiner Handinnenfläche. Wieso schimpfte sie noch nicht mit ihm? Wieso bestrafte sie ihn noch nicht? Eine schlechte Tat und lobende Worte passten einfach nicht zusammen. Das ergab keinen Sinn.

"Es gibt noch einiges, das du lernen musst. Lektion eins: Zeige den Leuten nicht, was du von ihnen hältst. Sei freundlich, das öffnet dir bei den meisten die Türen. Lektion zwei: Tue niemals etwas, ohne eine Gegenleistung zu erhalten."
Sie blieb vor ihm stehen und lächelte ihn immer noch an.
"Es gibt etwas, das ich brauche. Und ich weiß, dass Finnegan ab und zu jemanden in die Stadt schickt, um diverse Dinge zu besorgen. Und hier kommst du ins Spiel. Du wirst dich der Truppe anschließen und mir besorgen, was ich haben will. Dafür werde ich deinen kleinen Ausrutscher nicht an Finnegan verraten."
Chandra legte beide Hände um Elijahs Hand und schloss sie, mit den Pillen darin.
"Außerdem will ich wissen, was immer du über den Direktor heraus finden kannst. Für jeden Gefallen, den du mir tust, bekommst du, was du brauchst. Wie diese kleinen Pillen hier."

Bash sah nachdenklich über den Hof. Er wusste zwar nicht, was ihre Aufgabe sein würde, aber er wusste es würde nicht legal sein. Stephen war dafür denkbar untauglich. Er war unsicher und nicht belastbar. Levi könnte auch für Probleme sorgen, war er doch ein zu guter Mensch für krumme Dinger, aber das könnte er sich vielleicht zu Nutze machen.
Nichts desto trotz würde er wegen Stephen mit Finnegan reden müssen. Er seufzte und sah den Jungen vor sich wieder an. "Ich kümmer mich drum, Stephen. Ich krieg dich da schon raus. Mach dir keine Sorgen." Er sah nochmal zu Suzanna. "War sonst noch was? Oder warum hast du mit Suzanna gesprochen?"

Es war nicht wirklich zu verbergen, dass Levi gerade mit irgendwem aneinander geraten war; sein Haar war feucht und strubbelig und die Stelle unter seinem Auge war dick und dunkelblau. Aber deswegen würde er sich nicht verkriechen!
Sicheren Schrittes kam er wieder hinaus auf den Hof und hielt schnurstracks auf die Gruppe Fußball spielender Kinder zu. Er sah Bash und Suzanna sehrwohl, ignorierte sie aber so gut er konnte. Er würde nicht kleinbei geben, und wenn Bash ihm wieder so kam, würde er vorbereitet sein. Sicher, Bash war älter und größer als er, aber Levi war gar nicht mal so schwach und ziemlich wendig. Nochmal würde er sich nicht fertig machen lassen!

Suzanna grübelte noch immer über ihrem Plan, der Aufsatz lag halb vergessen vor ihr. Das Gelingen hing von so vielen Faktoren ab, die sie nicht alle selbst beeinflussen konnte.
Ihr Blick wanderte zu Bastian, der noch ins Gespräch mit dem schüchternen Jungen vertieft war. Mit ihm musste sie als erstes reden. Hoffentlich hielt Finnegan ihn nicht bis zum Abendessen fest, das wäre mehr als ungünstig.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als der Neue auf den Hof trat. Ein genauer Blick verriet ihr sowohl, dass er nicht nur ein Gespräch mit Bash gehabt haben musste, als auch, dass es nicht viel gebracht hatte. Denn obwohl Sullivan recht zerzaust aussah und sich an seinem Auge ein Veilchen bildetete, wirkte er aufrecht und unbeugsam. Suzanna schüttelte mit einer Mischung aus Unglaube und Erheiterung den Kopf. Aber er machte auch einen Fehler. Es war recht offensichtlich woran er in der kurzen Zeit sein Herz gehangen hatte und das würde ihm noch zum Verhängnis werden. Aber das war nicht ihre Sorge, sondern Bastians. Und wenn ihr Plan funktionierte, dann konnte es ihr sowieso egal sein.
Sie unterdrückte die aufkeimende Hoffnung, denn dafür war es noch zu früh. Viel zu früh und sie wollte nicht unvorsichtig werden.

Seine Augen weiteten sich leicht vor Unglauben, als er ihre Worte hörte.
Wieder schlug sein Herz kräftig und aufgeregt gegen seine Brust und es wunderte ihn, dass man es nicht durch den ganzen Raum hallen hören konnte.
Er sollte etwas für sie aus der Stadt besorgen? Aber wie? Und was, wenn Mr. Finnegan es mitbekommen würde?
"A-aber... M-Mr. Finnegan sucht die Kinder selbst aus, die er nach draußen schickt.", stammelte Elijah und wusste nicht wirklich was er tun sollte. Er konnte sich ja schlecht rausschleichen.
Und etwas über den Direktor herausfinden? Wie sollte er das machen?
Unruhig schloss er die Finger fester um die beiden kleinen Pillen.
Welche Wahl hatte er? Entweder er versuchte es, oder er wurde gleich von der Schwester verraten.
Also nickte er leicht.

"Ich bin mir sicher, du findest einen Weg, Elijah Lyall. Du bist ein kluger Junge."
Chandra lächelte noch immer, als sie sich abwandte und den Becher Tee zur Hand nahm. Inzwischen sollte er trinkbar sein.
"Das hilft gegen den Husten. Und wenn Moore dich anmotzt, komm wieder her, ich hab noch mehr davon. Vor allem ist es wichtig, dass du dich warm hältst und genug trinkst."
Sowas wie vernünftige Medizin im Sinne von Hustensaft war leider, wie so vieles anderes, Mangelware. Mit dem Becher reichte sie dem Jungen einen kleinen Zettel, auf dem stand, was er besorgen sollte. Für den Anfang nichts, was unmöglich war.

Elijah war sich nicht sicher, was er von dieser Frau halten sollte. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, aber er konnte nicht sagen, ob es eines war, das auch so gemeint war. Sie hatte gesagt freundlich zu sein öffnete alle Türen. Aber sie schien diese Freundlichkeit nicht so zu meinen...
Waren diese Worte dann wirklich freundlich gemeint, meinte sie es als Lob und Ermunterung, oder war das ganze eher eine still mitschwingende Drohung?
Er ließ die Tabletten wieder in seiner Hosentasche verschwinden und nahm den Becher entgegen. Langsam trank er die warme Flüssigkeit und es floss angenehm seine kratzige Kehle hinab. Schließlich reichte er den Becher mit einem leisen "Danke" zurück und ließ den Zettel beiläufig in seine Hosentasche wandern.
"Danke, Miss.", nuschelte er noch einmal und wandte sich dann mit gesenkten Kopf wieder zur Tür.

"Dafür bin ich hier."
Chandra nahm den Becher entgegen und nickte kurz.
"Wir sehen uns spätestens morgen zu einer weiteren Tasse Tee."

Er wusste noch immer nicht, was er von alledem halten sollte.
Erst hatte er sich am gestrigen Tag mit dem Buch in Schwierigkeiten gebracht und jetzt? Anscheinend hatte die Ankunft von Levi einiges verändert. Es war nicht, dass Elijah dem neuen Jungen die Schuld daran gab. Nur fielen seine Ankunft und einige Ereignisse einfach zusammen. So etwas nannte man dann wohl seltsame Zufälle.
Elijah trat nun hinaus auf den Hof. Eigentlich sah man ihn fast nie dort. Lieber suchte er sich einen ruhigen Platz an einem Fenster und beobachtete das Geschehen von der Ferne, hindurch durch das leicht schmutzige Glas. Aber nun würde ihn wohl nichts anderes übrig bleiben. Seine Finger schlossen sich um das Stück Papier in seiner Tasche.
Sein Blick schweifte über den Hof. Dann fiel sein Augenmerk auf Suzanna.
Er schluckte leicht, dann trat er auf das Mädchen zu.
"E-entschuldigung?"

Mit einem ungläubigen Blick voller Bewunderung sah Stephen zu Marakov hoch. Mit Finnigan reden? Ihn da rauskriegen? Bastian war schon echt mutig. Er selbst war froh, wenn Finnigan ihn möglichst wenig beachtete.

"Ich hab' eigentlich nur mit Suzanna gesprochen, weil ich dich gesucht habe," antwortete er auf die Frage. "Aber jetzt da du es erwähnst, sie möchte mit dir sprechen. Gleich nachdem ich dir Finnegans Anweisung ausgerichtet habe."

Ähnlich schüchtern wir Jonathan trat nun Elijah auf sie zu. Was war denn heute los?
Aber immerhin traute letzterer sich sie anzusprechen.
Sie betrachtete ihn einen Moment, bemerkte wie sich eine seiner beiden Hände in der Hosentasche offenbar an oder um etwas krallten, was er darin aufbewahrte. Dann blickte sie ihm ins Gesicht und nickte kurz als Zeichen, dass er weitersprechen durfte.

Elijah sah sich kurz aus den Augenwinkeln um.
Momentan schien sie keiner wirklich zu beachten. Also trat er etwas unsicher näher an Suzanna heran und zog eine der Tabletten aus der Hosentasche. Vorsichtig hielt er dem Mädchen die Hand hin.
"I-ich dachte, d-du könntest das vielleicht gebrauchen.", nuschelte der Junge leise und drückte ihr die kleine Pille in die Handfläche, so dass niemand sehen konnte, was er ihr überreichte.

Einen Moment blickte sie auf die kleine Pille, die Eljah in ihre Hand gelegt hatte, dann schloss sie die Finger darum und sah ihn an. Sie zog die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf ein wenig schräg.
"Was ist es und was hättest du gern dafür?"

Noch einmal sah er sich um und hielt seine Stimme gesenkt.
"Aspirin... ein Schmerzmittel.", flüsterte Elijah und hielt auch seinen Blick leicht gesenkt. Er wusste nicht, wie Suzanna es aufnehmen würde. Sie dachte anders als er. Viele dachten anders als er.
"E-eigentlich nichts.. ich dachte nur... weil du dich verletzt hast..."

Einen Augenblick schwieg sie, unschlüssig wie sie reagieren sollte. Sie hatte schon davon gehört, dass sich der Junge vor ihr offensichtlich selbstlos immer mal wieder über jene kümmerte, denen es nicht gut ging. Dass sie nun scheinbar selbst zu dieser Gruppe von Leuten gehörte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Auch wusste sie nicht was ihn antrieb so zu handeln, in einem Umfeld wie diesem. Und wie er an die Dinge kam, die er freimütig verteilte. Medizin war ein rares Gut, besonders hier.
Andererseits konnte sie es wirklich gut gebrauchen, erst recht mit dem was sie vorhatte. Eigentlich konnte sie es sich nicht leisten die Tablette abzulehnen.
Sie sprach leise, aber mit fester Stimme. "Wo hast du es her? Hast du es geklaut?" Sie klang nicht vorwurfsvoll, nur neugierig.

"I-ich ... ja..", murmelte er etwas verlegen.
"Aus dem Krankenzimmer...", fügte er dann noch hinzu, verschwieg aber, dass er dieses Mal erwischt worden war und sich in eine ziemlich brenzlige Lage gebracht hatte.
Erst jetzt blickte er auf und sah das Mädchen an.
Aber er konnte nicht aus ihren Gesichtszügen lesen, was sie davon hielt.
"Ich war... wegen meiner Erkältung da..."

Stephens Blick ließ Bash schmunzeln. Wenn doch nur alle so einfach im Griff zu halten wären, wie Stephen. Sein Blick wanderte wieder über den Hof und so entging ihm weder Levi, der stur wie zuvor zu den anderen Jungs rüber lief, die Fußball spielten, noch Elijah, der zu Suzanna lief. Dann nickte er Stephen zu. "Alles klar. Ich kümmer mich um die Sache. Ich sag dir zum Abendessen bescheid." 

Mit einem weiteren Nicken schickte er Stephen weg und ging zu Susanna und Elijah rüber, ließ dieser aber eine Chance ihm zu bedeuten, dass er warten soll.

Sie nahm Bastian aus dem Augenwinkel wahr und fing seinen Blick auf. Mit einer Geste bat sie noch einen Augenblick zu warten und widmete sich dann wieder Elijah.
Sie war nicht sicher warum der Junge ihr von seiner Erkältung erzählte, aber sie schenkte ihm ein ehrliches, wenn auch berechnendes Lächeln. "Dann kannst du ja froh sein, dass die Hexe dir für deinen Übermut noch nicht beide Hände abgehackt hat, was?" Das hätte sie dem Kleinen gar nicht zugetraut. "War sonst noch was?"